Historischer Glaspalast

Als die mechanische Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA) im Jahr 1909 eine Erweiterung ihrer Anlagen an der heutigen Otto-Lindenmeyer-Straße beschloss, ging der Auftrag an Philipp Jakob Manz, einen Architekten, dessen Bauphilosophie der Unternehmenskultur des damals größten und bedeutendsten Textilproduzenten der Stadt adäquat erschien. Seit ihrer Gründung im Jahr 1837 hatte sich die SWA zu einem rasch expandierenden Betrieb entwickelt, der nicht nur die höchsten Zuwachszahlen für sich verbuchen konnte, sondern mit den Fabriken Werk I (Johannes-Haag-Straße), Rosenau (Oblatterwallstraße) und »Fabrikschloss« (Reichenberger Straße) auch über die modernsten Industriebauten verfügte. Ausschlaggebend für die Wahl des europaweit renommierten Industriearchitekten war vor allem, dass er Erfahrungen mit Spinnereihochbau vorwies und mit den rasanten bautechnologischen Innovationen der Jahrhundertwende Schritt halten konnte.

 

Manz profilierte sich mit Stahlskelettbauten, die enorm kurze Bauzeiten versprachen und ihm den respektablen Ruf eines »Blitzarchitekten« einbrachten. Dass er »billig, schnell und schön« baute, kam der Time-is-money-Mentalität seiner Auftraggeber ebenso entgegen wie deren, am ehemaligen Stadtpatriziat orientierten Repräsentationsbedürfnis. Mit dem neuen, eine Grundfläche von 115 m x 45 m umfassenden Spinnereihochbau der SWA, ging Manz an die Grenzen des damals technisch Machbaren. Die großflächige Verglasung diente zum einen der optimalen Ausnutzung des Tageslichts in den Spinnereisälen, wurde zum anderen aber auch bewusst als gestalterisches Mittel eingesetzt. Markante Akzente bilden die asymmetrisch gesetzten Türme, die verschiedene, dem rationalen Betriebsablauf zugeordnete Funktionen in sich vereinen.

 

Als am 1. Januar 1910 mehr als 1.200 Arbeiter die Produktion im Glaspalast aufnahmen, konnte noch niemand ahnen, dass die traditionsreiche Textilstadt Augsburg etwa 60 Jahre später ihren Untergang erleben sollte. Von der internationalen Konkurrenz aus dem Markt gedrängt, musste Augsburg ab den 1970er Jahren den Bedeutungsverlust seiner vormal weltweit operierenden Textilbetriebe hinnehmen. Bis zur Jahrtausendwende waren nahezu alle Fabriken stillgelegt.

 

Viele der auf höchstem architektonischen Niveau errichteten Anlagen, die Wohlstand und Stolz der prosperierenden Industriemetropole symbolisierten, galten nun als »schwierige Immobilien«. So auch der »Glaspalast«. Mehr als zehn Jahre stand der Industriebau, der einmal als einer der größten und fortschrittlichsten seiner Art galt, leer, bis ihn Professor Ignaz Walter im Jahr 2000 erwarb und auf eigene Kosten für kulturelle und gewerbliche Nutzung renovieren ließ.

 

 

 

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